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Community Mediation und die Flüchtlingskrise

In meiner Masterarbeit mit dem Titel: „Community Mediation und die Bewältigung der Flüchtlingskrise“ skizziere ich, ausgehend von den systemischen Mängeln des Gemeinsamen Europäischen Asyl Systems GEAS in einem ersten Schritt die Konfliktlandschaft, die die gesellschaftliche Ausgangssituation in der europäischen Flüchtlingskrise 2015/2016 beschreibt. Diese Konfliktlandschaft identifiziert fünf zentrale Konfliktfelder:

  • Politische Konflikte im Zusammenhang mit Quotenregelungen, Flüchtlingsquartieren und Standards in der Unterbringung, der Versorgung und der Integration von geflüchteten Menschen.
  • Nachbarschaftskonflikte mit den typischen Themen Lärm und Sauberkeit.
  • Gruppenkonflikte und zwischenmenschliche Konflikte in Flüchtlingsquartieren.
  • Organisationskonflikte, mit den typischen Konfliktthemen um Strukturen, Normen und Veränderung sowie Rivalitätsthemen, die durch das Zusammenspiel verschiedener Organisationen mit freiwilligen Helfer*innen verursacht werden.
  • Konflikte im öffentlichen Raum, die im Zusammenhang mit Rückschiebungen und Abschiebungen entstehen.

Dann werden die Verfahren, die das Feld „Community Mediation“ für diese skizzierten Konfliktfelder bietet, vorgestellt und deren gesellschaftliche Verankerung anhand der Etablierung dieser Verfahren in Österreich aufgezeigt, sowie „Dialog“ als Grundlage für gelingende Kommunikation und demokratisch herbeigeführte Entscheidungen und Konsenslösungen problematisiert und diskutiert.

Die empirische Untersuchung, eine Befragung der politischen und sozialen Akteur*innen des Asyl- und Flüchtlingswesen in Vorarlberg und eine Analyse der Posts der lokalen Online-Plattform www.VOL.at über Konflikte im Zusammenhang mit Asylwerber*innen im Jahr 2015/2016, zeigt auf, inwieweit die Angebote des Feldes „Community Mediation“ wahrgenommen werden und kommt zu dem Schluss, dass deren Potential nur teilweise ausgeschöpft wird.

Die Befragten anerkennen vor allem bei Nachbarschaftskonflikten und politischer Mediation und Öffentlichkeitsbeteiligung im Kontext der Asylthematik das Potential dieser Verfahren auf lokaler Ebene.
Bei zwischenmenschlichen Konflikten unter Flüchtlingen oder Gruppenkonflikten in Flüchtlingsquartieren scheinen alternative Formen der Konfliktbeilegung hingegen wenig verankert, obwohl gerade in diesem Bereich Modelle der Gemeinwesensmediation oder auch der Peer-Mediation, die für Schulen entwickelt wurden, sehr fruchtbar eingesetzt werden könnten. Speziell das Konzept der Ausbildung und Einbindung von Mediator*innen aus der Gemeinschaft, das in beiden Ansätzen eine wichtige Grundlage darstellt, könnte die multikulturellen Ressourcen dieser Gemeinschaften aktivieren und nutzen.
Im Bereich der Organisationskonflikte kommt die Untersuchung zum Schluss, dass hier zwar professionelles Konfliktmanagement eingesetzt wird, jedoch durch die problematische Wirkung der medialen Öffentlichkeit, Konflikte auch tabuisiert werden.
Bei den analysierten Konflikten im öffentlichen Raum im Zusammenhang mit Verfahrensmängel, Rückschiebungen und Abschiebungen, zeigen die Beispiele, dass die Behördenvertreter*innen für Vermittlungsgespräche nicht bereit waren. Inwieweit bei diesen Konflikten die rechtlichen Rahmenbedingungen Mediation als Ergänzung zu der bestehenden Hilfestellung durch die Volksanwaltschaft erlauben, müsste jedoch noch in einer weiterführenden Arbeit geklärt werden.

Literatur:

Kaučić-Huber, Anna: „Community Mediation“ und die Bewältigung der „Flüchtlingskrise“.  Masterarbeit. Wien, 2017.

 

Diversion bei häuslicher Gewalt

Laut Entwurf des Strafrechtsänderungsgesetzes 2015 soll Diversion nicht mehr möglich sein, wenn es sich um Gewalt oder gefährliche Drohung gegen Angehörige und Ex-Partner handelt. Durch die Einstufung von familiärer Gewalt als Erschwerungsgrund (§ 33 Abs. 2 und 3) würde die Umsetzung dieses Vorschlags laut Neustart (vgl. Stellungnahme zum StRÄG 2015) bedeuten, dass etwa alle Vorsatzdelikte gegen Leib und Leben (also auch leichte Körperverletzungen) sowie gegen die Freiheit (also auch gefährliche Drohung) von einer diversionellen Erledigung ausgeschlossen werden, sofern Angehörige oder Mitbewohner Opfer sind.

Dieser Diversionsausschluss würde absolut gelten, sodass wegen solcher Delikte unabhängig von ihrer Schwere und unabhängig von einer Gesamtbewertung schuldrelevanter Faktoren immer in einer Hauptverhandlung urteilsmäßig (Freispruch oder Schuldspruch) zu entscheiden wäre.

Damit würde die Umsetzung einen Rückschritt hinter eine jahrzehntelange erfolgreiche und international beachtete Bearbeitung im Rahmen der Diversionsform Tatausgleich bewirken.

Laut Neustart werden aktuell rund 30 % aller Tatausgleiche wegen Gewaltdelikten im häuslichen und familiären Bereich durchgeführt. In Rückfallstudien wurde für diese Delikte ein Rückfall nach erfolgreichem Tatausgleich von unter 10 % belegt.

Vorteile und Risiken des Tatausgleiches bei familiärer Gewalt

Historisch betrachtet war eine wesentliche Errungenschaft des Täter-Opfer Ausgleiches*, dass der Konflikt von der Strafjustiz zu den involvierten Personen zurückgegeben wurde, damit diese ihren Konflikt selbstverantwortlich mit Hilfe einer professionellen Mediation bereinigen können. Dies ermöglichte auch einen emotionalen Ausgleich und die Wiederherstellung des sozialen Rechtsfriedens, anstelle eines bloßen Machteingriffes durch die Strafjustiz.

Im Gegensatz dazu war die Entwicklung bei der familiären Gewalt genau umgekehrt: Es ist eine feministische Errungenschaft dass Gewalt in der Familie nicht mehr als Privatsache betrachtet wird, die den Staat und die Strafjustiz nichts angehen! In diesem Kontext muss man auch die Kritik von feministischer Seite sehen, die vor einer Reprivatisierung der familiären Gewalt durch den Täter Opfer Ausgleich bei Gewaltdelikten warnen.

Nach einer vergleichenden Studie im Auftrag der Europäischen Kommission (vgl. Verwey-Jonker Institute, et al.: Restorative Justice in Cases of Domestic Violence) ist es in diesem Zusammenhang ganz wichtig zu differenzieren zwischen – situativer Gewalt in Partnerbeziehungen, wo ein Täter-Opfer-Ausgleich sinnvoll sein kann, speziell wenn Kinder involviert sind – und Fällen von wiederholten, eskalierenden Gewalthandlungen, kombiniert mit der Ausübung von Macht und Kontrolle, wo ein Täter-Opfer-Ausgleich auf keinen Fall empfohlen ist.

Die Kritik an einem Täter-Opfer-Ausgleich in derartigen Fällen umfasst folgende Punkte:

  • Sicherheitsrisiken; der TOA kann zu einer Re-Viktimisierung der Frauen führen da der geschlechtsspezifische Machtunterschied nicht gefahrlos ausgeglichen werden kann.
  •  Doppelter Druck durch das TOA Setting.
  • TOA eine Kontraproduktive Intervention, da vergewaltigte und geschlagene Frauen in erster Linie an der Erlangung von Sicherheit interessiert sind und nicht an einer Wiedergutmachung.
  • Re-Viktimisierung durch die Verharmlosung von Gewalt, Zuweisung von Mitschuld, etc.
  • Fehlen einer langfristigen Intervention
  • Fehlende Normklärung durch den soften, informellen Charakter des TOA. Die Message muss klar sein: Gewalt, auch innerhalb einer Beziehung, ist eine Straftat.
  • Symbolische Implikationen; TOA als Reprivatisierung der häuslichen Gewalt wird als dramatischer Rückschlag in den feministischen Bemühungen seit den 60iger Jahren gesehen „das Private öffentlich zu machen“.

Die Vorteile eines Täter-Opfer-Ausgleiches, bei situativer familiärer Gewalt sind:

  • Die Strafjustiz erfüllt nicht die Bedürfnisse der Opfer von häuslicher Gewalt. Auch hier besteht die Gefahr der Re-Viktimisierung durch Verharmlosung von Gewalt, Zuweisung von Mitschuld, etc. Der Täter-Opfer-Ausgleich bietet mehr Möglichkeiten die Bedürfnisse der Opfer besser zu würdigen, was vielleicht auch zu einer häufigeren Anzeige von familiärer Gewalt führt.
  • Empowerment der Opfer durch die aktive Teilnahme am TOA.
  • Übernahme von Verantwortung durch die Täter.
  • Hilfestellung bei Scheidung oder auch für die Fortsetzung der Ehe aus guten Gründen.
  • Sicherheit und Überprüfung der Einhaltung der Vereinbarungen.

Wichtige Voraussetzungen für den TOA bei familiären Gewaltdelikten:

  • Freiwilligkeit und Sicherheit
  • Sorgfältige Auswahl
  • Kontrolle der Sicherheit
  • Spezielle Machtausgleichstechniken im Mediationsverfahren selbst

Unter Berücksichtigung dieser Differenzierung sollte der TOA auch bei situativer Gewalt im familiären Kontext ermöglicht werden.

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*) Täter-Opfer-Ausgleich, kurz TOA, ist in Österreich unter Außergerichtlicher-Tat-Ausgleich, kurz ATA, bekannt.

Literatur:

Neustart gemeinnützige GmbH: Stellungnahme Strafrechtsänderungsgesetz 2015, http://www.neustart.at/at/_files/pdf/stellungnahme_strafrechtsaenderungsgesetz_2015.pdf, zuletzt geprüft am 22.4.2015

Verwey-Jonker Institute, et al.: Restorative Justice in Cases of Domestic Violence. Best practice examples between increasing mutual understanding and awareness of specific protection needs; http://www.euforumrj.org/wp-content/uploads/2015/02/150216_7388_RJ_Comparative_rep_WS1_final_AW.pdf, zuletzt geprüft am 22.4.2015.